05.02.2022

100 Jahre Wiener Stadtschulrat

100 Jahre rote Bildungspolitik

Bildung ist schon seit den Anfängen der Sozialdemokratie ein bedeutendes Thema. Heuer gibt es ein besonders Jubiläum: 100 Jahre Wiener Stadtschulrat.

Ein Name ist damit vor allem verbunden:

Otto Glöckel – der bedeutendste Schulreformer des 20. Jahrhunderts.

Otto Glöckel besuchte die Lehrerbildungsanstalt in Wiener Neustadt und war ab 1892 als Volksschullehrer auf der Schmelz tätig. 1894 trat er der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei und schloss sich dem sozialdemokratischen Lehrerverein „Die Jungen“ an, der sich um Karl Seitz und Paul Speiser gebildet hatte. Glöckel arbeitete am „Schulprogramm der Jungen“ mit und leitete den Verein „Freie Schule“.

Karl Lueger entließ ihn 1897 später wegen „politischem Radikalismus“ fristlos. Er fand als Beamter in der Unfallkrankenkasse Beschäftigung.

Ab 1906 war er im Wiener Gemeinderat, kurz darauf im Reichsrat. Diesem bzw. nach 1918 dem Nationalrat  gehörte er bis 1934 an.

1917, legte er unter dem Titel „Das Tor der Zukunft“ ein Schul- und Erziehungsreformprogramm vor, in dem er die Freiheit der Schule, die Trennung von Kirche und Schule und die Einheitsschule forderte. Außerdem setzte er sich für die Förderung aller Begabungen, die Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Lernmittel, eine zeitgemäße Gestaltung der Methodik im Sinne einer kindgemäßen Lebens- und Arbeitsschule und die Überwindung der Bürokratie im Schulwesen ein.

1918 wurde Glöckel u.a. Unterstaatssekretär für Inneres. 1919-1920 war er Unterstaatssekretär für Unterricht. In dieser Funktion trieb er die an liberalen Prinzipien orientierte Schulreform voran und schaffte die vorgeschriebene Teilnahme am Religionsunterricht ab.

Nach dem Bruch der Koalition mit den Christlichsozialen wurde Glöckel 1922 Geschäftsführender 2. Präsident des Wiener Stadtschulrats und verwirklichte viele Punkte seines Schulreformprogramms.

Der Stadtschulrat war das Zentrum der pädagogischen und organisatorischen Neugestaltung des gesamten Wiener Pflicht-, Mittel- und Fortbildungsschulwesens. In seinem Erlass vom 22. April 1919 sichert er den Frauen den freien Zugang zu den Universitäten. Besondere Bedeutung hatte auch der sogenannte Glöckel-Erlass, mit dem die verpflichtende Beteiligung der SchülerInnen am Religionsunterricht sowie das tägliche Schulgebet abgeschafft wurden.

Wien blieb dem Primat der engagierten Schulpolitik auch treu, als die Bundesregierung das Bildungsbudget der Bundesländer zusammenstrich. Die Stadt übernahm größtenteils die Entlohnung der Lehrerschaft, die Limitierung der Klassenschülerhöchstzahlen, Gratisschulbücher, moderne Schulbüchereien, unentgeltliche bzw. billiges Essen und die demokratische Beteiligung von Elternvertretungen. Außerdem wurde der Zölibat für Lehrerinnen aufgehoben. Durch die Zusammenarbeit mit der Universität, entstand abseits von eine neue Lernkultur. Die sogenannte „Arbeitsschule“ sollte anschaulich, lebensnah und spielerisch den alten Frontalunterricht ablösen. Das 1922 gegründete Pädagogische Institut der Stadt Wien sorgte dafür, dass das Lehrpersonal auf die neue Schule vorbereitet wurde.

Die „Wiener Schulreform“ sorgte für intensive Bildungsdiskussionen und verhalf Wien zu internationaler Anerkennung. Wien wurde zur „Hauptstadt des Kindes“, zum „Mekka der Pädagogik“, zum internationalen Zentrum der Schulreform. Expertengruppen aus aller Welt reisten an.

Die Wiener Schulreform wurde aber auch gehasst und bekämpft. Otto Glöckel verfasste daraufhin 1923 eine kleinen Schrift mit dem Titel „Die österreichische Schulreform“, in der er sich den Vorwürfen – mangelnde Disziplin, fehlende Vermittlung von Wissen, Verführung durch sexuelle Aufklärung, politische Indoktrinierung zu Sozialdemokraten etc. widmete. Ein heißes Thema war dabei vor allem die Religion: Glöckel wollte die Trennung von Kirche und Staat und fand es unvereinbar, dass der tägliche Unterricht mit dem Schulgebet begann und endete. Der Besuch des Religionsunterrichts sollte freiwillig sein. Nichts löste im Wien der Zwischenkriegszeit mehr Erregung aus als der Streit um die Schule.

Am 13. Februar 1934 wurde Glöckel in seinem Arbeitszimmer verhaftet, zunächst in Einzelhaft genommen und dann im Konzentrationslager Wöllersdorf festgehalten. Nach internationalen Petitionen ließ man ihn am 29. Oktober 1934 frei.

Gesundheitlich schwer gezeichnet, starb er wenige Monate später. Das Begräbnis wurde zu einer politischen Demonstration.

Zu Glöckels Werken zählen unter anderem „Die österreichische Schulreform“ (1922), „Die Wirksamkeit des Stadtschulrates“ (1925) und „Drillschule, Lernschule, Arbeitsschule“ (1928).

 

Quellen:

DasroteWien.at

Wiener Stadt- und Landesarchiv

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